Automatisierung von Laborprozessen

Laborautomatisierung zur Produktivitätssteigerung

Die Herstellung von Biopharmazeutika ist regelmäßig ein hochkomplexer und ressourcenintensiver Prozess, der präzise und zuverlässige Laborarbeiten erfordert. Angesichts steigender Anforderungen an Qualität, Effizienz und Geschwindigkeit gewinnt die Laborautomatisierung immer mehr an Bedeutung. Durch den Einsatz automatisierter Technologien können moderne Biolabore repetitive und zeitaufwändige Aufgaben schneller und präziser durchführen und ihre Produktivität erheblich steigern. Die Automatisierung ermöglicht eine höhere Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, minimiert menschliche Fehler und steigert die Datengenauigkeit, was entscheidend für die Einhaltung regulatorischer Anforderungen ist. Zudem werden Arbeitskräfte entlastet und können sich auf komplexere Aufgaben konzentrieren, was die Innovationskraft des Unternehmens stärkt. Da manuelle Produktionsumgebungen aktuell noch immer üblich sind, bietet die Laborautomatisierung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil und ermöglicht es biopharmazeutischen Unternehmen, effizienter und kostengünstiger zu arbeiten, was besonders in einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld von entscheidender Bedeutung ist.

ATMPs (Advanced Therapy Medicinal Products) sind innovative, biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, die neue Möglichkeiten zur Behandlung schwerer, bisher unheilbarer Krankheiten wie beispielsweise Krebs eröffnen. Sie basieren auf Zell- und Gentherapie sowie Tissue Engineering. In der Europäischen Union unterliegen ATMPs einer besonderen Regulierung, um ihre Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Dies führt zu hohen Produktionsanforderungen und -aufwänden, die eine Automatisierung der Produktion in diesem Bereich besonders relevant werden lassen.

Vorteile der Prozessautomatisierung in der Biopharmazeutika- oder ATMPs-Herstellung:

  • Höhere Produktivität und Effizienz des Prozesses:
    Automatisierung ermöglicht die schnellere und präzisere Durchführung repetitiver und zeitaufwändiger Aufgaben.
  • Verbesserung der Produktqualität:
    Durch die Reduzierung menschlicher Fehler können konsistente Ergebnisse erzielt werden. Dies ist besonders wichtig für die Qualitätssicherung und die Einhaltung strenger regulatorischer Anforderungen.
  • Wettbewerbsvorteile:
    Effizientere Prozesse senken die Produktionskosten, insbesondere in wettbewerbsintensiven Märkten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden entlastet und können sich auf komplexere, kreativere und wertschöpfendere Aufgaben konzentrieren. Die Konzentration auf anspruchsvollere Aufgaben stärkt die Innovationskraft des Unternehmens.

Abbildung 10 verdeutlicht qualitativ, dass es aus produktionstechnologischer Sicht sinnvoll ist, bereits möglichst früh im Produktentstehungsprozess eine automatisierte Herstellung zu etablieren. Bei der Entwicklung eines neuen Biopharmazeutikums ist in der Erforschung sowie in der Phase der präklinischen Zulassung ein manueller Betrieb durchaus effizient und sinnvoll. Beim Übergang in die klinischen Studien, muss der Herstellungsprozess klar definiert sein und kann später nur noch unter hohem regulatorischem Aufwand verändert werden. Ist der Prozess bis zu diesem Zeitpunkt also noch nicht für eine Automatisierung ausgelegt, muss die Produktion längerfristig manuell betrieben werden. 

Da mit Voranschreiten der klinischen Studien immer mehr Produkte benötigt werden, müssen die Produktionskapazitäten ebenfalls wachsen. Dies führt dazu, dass neue Labore ausgestattet und weitere Fachkräfte eingestellt werden müssen, oder dass teure Herstellungsaufträge an CDMOs vergeben werden müssen. All dies reduziert die Produktionseffizienz. 

Wenn zu einem späteren Zeitpunkt unter großen Bemühungen teilautomatisierte Lösungen etabliert werden, kann langfristig dennoch keine Produktionseffizienz erreicht werden, die einer vollautomatisierten Lösung nahekommt.

Ökonomische Betrachtungen von Laborautomatisierungen zeigen, dass bereits durch die Installation einzelner Automatisierungslösungen, sogenannter Automatisierungsinseln, bis zu 17 Prozent der jährlichen Kosten eingespart werden können – und das obwohl teilweise neue, teure Geräte dafür angeschafft werden müssen. Diese Beobachtung bezieht sich auf ein klassisches, nicht automatisiertes Biolabor, in dem häufig neue Prozesse ausgeführt und keine Standard Operating Procedures (SOPs) für die Herstellung eines konkreten Produkts abgearbeitet werden [21]. In Fällen, in denen Laborarbeiten in erster Linie auf die Produktion eines Produkts ausgerichtet sind, welches möglichst effizient gemäß SOP gefertigt werden soll, ist eine vollständige Automatisierung aus ökonomischer Sicht sinnvoller. Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Herstellung von menschlich induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCs) hat gezeigt, dass die Gesamtkosten im Vergleich zwischen manueller und der vollautomatisierter Produktion über einen Zeitraum von acht Jahren um circa 40 Prozent gesenkt werden konnten [22]. Diese Automatisierungslösung hat das Fraunhofer IPT zusammen mit Partnern in der »StemCellFactory« umgesetzt, die im folgenden Kapitel näher vorgestellt wird.

Abbildung 10 – Das »Tal der Tränen« in der ATMP-Produktion. Qualitative Gegenüberstellung der Produktionseffizienz bei manueller und automatisierter Produktion eines ATMPs über den Zeitraum von Entwicklung bis Markteinführung.

Drei Anwendungsfälle für die automatisierte Zellproduktion

Das Fraunhofer IPT forscht seit 2010 an Produktionstechnologien für biologische Produkte. Es wurden bereits mehrere vollautomatisierte Plattformen entwickelt, sowohl für Partner aus der Industrie als auch im Rahmen öffentlich geförderter Forschungsprojekte. Drei dieser Forschungsanlagen sind die »StemCellFactory«, »AUTOSTEM«, »AIDPATH« und im folgenden Kapitel »JointPromise«.

StemCellFactory

Die Automatisierung gewinnt in der Produktion von Stammzellen für die regenerative Medizin einen immer größeren Stellenwert. Ein Beispiel dafür ist die StemCellFactory, eine automatisierte Plattform, die den gesamten Produktionsprozess von hiPSCs abdeckt. Um hiPSCs für kommerzielle Zwecke nutzen zu können, müssen jedoch große Mengen hergestellt werden. Die skalierbare Produktion dieser Zellen ist durch hohe Fehleranfälligkeit und Kontaminationen mit herkömmlichen Produktionsverfahren sehr schwer zu erreichen.

In der StemCellFactory lassen sich innerhalb von drei Wochen hiPSCs in bis zu 500 Zellkulturplatten ohne menschliches Eingreifen produzieren. Die sich entwickelnden Zellkolonien werden automatisch erkannt, geerntet und entsprechend weitergezüchtet. Durch Hochgeschwindigkeitsmikroskopie und entsprechende Verfahren zur Bildauswertung wird die Qualität der Zellen kontinuierlich überwacht. Ein entscheidender Prozessschritt bei der Herstellung der hiPSCs ist die Editierung des Genoms der Ursprungszelle. Hierfür wurde in die StemCellFactory ein automatisiertes Genom-Editing integriert, mit dem die Anlage den gesamten Herstellungsprozess vollautomatisch abbilden kann. Durch die Automatisierung des Prozesses gelingt die Herstellung von hiPSCs in den geforderten großen Mengen, die beispielsweise für Krankheitsmodelle oder Medikamententests dienen können [22], [23], [24].

AUTOSTEM

Das System ermöglicht eine vollständig automatisierte bioreaktorbasierte Produktion mesenchymaler Stammzellen (MSCs). Dazu werden die Zellen kontinuierlich in Bioreaktoren vermehrt, mit Nährmedium versorgt und regelmäßig gezählt, um ihre Wachstumsrate zu bestimmen. Sobald die gewünschte Zellanzahl erreicht ist, erfolgt die automatische Entnahme der Zellen aus dem Bioreaktor, ihre Separierung vom Nährmedium und die Lagerung in speziellen Kühlgefäßen bei -80 °C.

Die Automatisierung dieses Prozesses bietet entscheidende Vorteile: Sie minimiert das Risiko von Fehlern und Kontaminationen, erhöht die Effizienz und ermöglicht eine eine Skalierung der Produktion von MSCs im Litermaßstab. Zudem erlaubt sie eine enge Überwachung der Prozessparameter und der Zellqualität in Echtzeit. Für die Qualitätssicherung und die klinische Anwendung ist dies von außerordentlicher Bedeutung.

Die Automatisierung der Stammzellproduktion ist deshalb ein wichtiger Schritt hin zu kosteneffizienten und standardisierten Verfahren für die Herstellung therapeutischer Zellkulturen. So können neue stammzellbasierte Therapieansätze weiterentwickelt und in der breiten Bevölkerung für möglichst viele Menschen zugänglich gemacht werden [25].

AIDPATH

Im Projekt »AIDPATH« entwickelt ein europäisches Konsortium, aus industriellen und akademischen Partnern, eine automatisierte und intelligente Anlage zur Herstellung von CAR-T-Zellen. Diese Technologie ermöglicht eine gezielte und individualisierte Zelltherapie direkt am Behandlungsort der Patientinnen und Patienten.

Zur Optimierung der CAR-T-Zell-Herstellung setzen die Forschenden auf Künstliche Intelligenz (KI) und die Integration individueller Patientendaten in den Behandlungsprozess. Dadurch können hochwirksame und individuelle CAR-T-Zellprodukte entwickelt werden, die genau an die Bedürfnisse der erkrankten Personen angepasst sind. 

Die Anlage aus dem Forschungsprojekt »AIDPATH« wird Erkrankten zukünftig den Zugang zur CAR-T-Zelltherapie erleichtern. Die Automatisierung und Dezentralisierung der Produktion werden dazu beitragen, dass die Produktionszeiten verkürzt und Therapien schneller und effizienter verfügbar sein werden [26].

Abbildung 11: StemCellFactory: Automatisierte Plattform für die hiPSC-Produktion. Standort: Bonn, Deutschland.

Anwendungsfall: Automatisierte Gewebeproduktion

Der demografische Wandel und veränderte Lebensstile führen zur einem steigenden Bedarf an Therapeutika für Volkskrankheiten. Arthrose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen infolge von Übergewicht, Bewegungsmangel oder mangelhafter Ernährung sind nur zwei Erkrankungsformen, die in epidemiologischen Studien klar identifiziert werden konnten. Neue Therapieansätze der regenerativen Medizin sehen den Einsatz von Gewebeersatzstrukturen zur Wiederherstellung von Körperfunktionen vor und bieten eine Alternative zu konventionellen Behandlungsmethoden. Durch Kombination neuer Materialien, Systeme und Verfahren aus den Materialwissenschaften, der Biotechnologie und den Ingenieurswissenschaften werden unter dem Schlagwort »Tissue Engineering« Gewebeersatzstrukturen mit komplexen Wirkmechanismen hergestellt. Beispiele dafür sind Ersatzstrukturen zur Wiederherstellung mechanischer Funktionen, beispielsweise in knöchernen Bereichen der Mund-, Kiefer- und Gesichtsrekonstruktion oder im Dentalbereich. Darüber hinaus eröffnen auf lebendem Material basierende Implantate völlig neue Möglichkeiten zur Geweberegeneration. Solche zellbasierten Gewebeimplantate bestehen aus einer Stütz- oder Matrixstruktur, an oder in der hochpotente Zellen integriert werden. Der Zelltyp wird auf das zu ersetzende beschädigte Gewebe angepasst, sodass der Körper keine Abwehrreaktion gegen das Fremdmaterial auslöst. Durch die Einbringung körperähnlicher Zellen in einer gewebespezifischen Struktur wird beschädigtes Gewebe nicht nur ersetzt, sondern durch Zell-Zell-Interaktionen schließlich regeneriert. 

Herausforderungen des Tissue Engineering

Besondere Herausforderungen des Tissue Engineering liegen in der Auswahl geeigneter Trägermaterialien für lebende Zellen: Während die mechanischen Eigenschaften des Materials die Zellausbreitung und -anhaftung beeinflussen, sind für großflächige Implantate zusätzlich aderähnliche Strukturen erforderlich, um die Nährstoffversorgung des lebenden Materials zu gewährleisten. Neue Materialtypen wie Hydrogele aus körpereigenem Kollagen bieten nicht nur eine ideale Kultivierungsgrundlage für Zellen, sondern verhindern auch Abwehrreaktionen, die bei synthetischen Implantaten auftreten würden. Sogenannte Bioprinter, eine weiterentwickelte Form konventioneller 3D-Drucker, können komplexe mehrschichtige Implantate aus verschiedenen Material- und Zelltypen in gewebeähnlichen Strukturen herstellen.
Außerdem wird eine große Menge an Zellen in Gewebeimplantaten benötigt, um den Anteil an Trägermaterial zu minimieren und damit das Regenerationspotenzial zu steigern – für Strukturgrößen im Zentimeterbereich sind dabei oft bereits mehrere Millionen Zellen erforderlich. Damit der weltweit steigende Bedarf gedeckt werden kann, ist die Skalierbarkeit des Herstellungsprozesses zellbeladener Gewebeersatzstrukturen unabdingbar. 

Vorteile der Prozessautomatisierung

Die Prozessautomatisierung bietet neben hohen Durchsätzen eine konstante Qualität und hohe Effizienz. Sie hilft außerdem, die hohen Personalkosten für die zurzeit hauptsächlich manuell ausgeführten, repetitiven Prozesse zu senken. Forschungstrends in der Zellkultur sind die Verwendung dreidimensionaler Zellaggregate, sogenannter Sphäroide (Kugelkörper), die neben einer hohen Zelldichte auch die Interaktion der Zellen untereinander sowie mit dem umliegenden Material verbessern. Insgesamt kann dadurch eine höhere Überlebensrate der Zellen erzielt und der Regenerationsprozess des Gewebes verbessert werden.

Abbildung 12: Rendering der Produktionsanlage mit einem zentralen Roboter für das komplette Materialhandling sowie die Anordnung aller weiteren Geräte.

Automatisierte Herstellung fortschrittlicher 3D-Gelenkimplantate zur Arthrosebehandlung

Das EU-Forschungsprojekt »JointPromise« umfasst die Konzeption und Umsetzung einer automatisierten Produktionsplattform für dreidimensionale Gelenkimplantate zur Behandlung von Arthrose. 

In jüngsten Studien wurden Muskel-Skelett-Erkrankungen als eine der zehn häufigsten Krankheiten in der mittleren Altersgruppe ermittelt. Unter den muskuloskelettalen Erkrankungen ist Arthrose eine der häufigsten chronischen Gelenkerkrankungen, die zu einem fortschreitenden Abbau des Knorpels mit über 300 Millionen weltweit gemeldeten Fällen führen. Mit Blick auf eine zunehmend alternde Weltbevölkerung wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Arthrosefälle in Zukunft weiter zunimmt – wie auch in Studientrends ersichtlich [27]. 

Das Tissue Engineering kann eine vielversprechende Alternative zu konventionellen Langzeitmedikationen, Physiotherapien oder Gelenkersatzoperationen bieten. Zellbasierte 3D-Strukturen für die Regeneration von Knorpel werden im Projekt »JointPromise« durch eine hochskalierte Zellproduktion kombiniert mit mehrschichtigem Bioprinting automatisiert hergestellt. Die Produktionsanlage unterliegt höchsten Hygienestandards, beispielsweise hinsichtlich der Reinigung, den ausgewählten Materialien oder der Luftfiltration.

Abbildung 13: Die Knorpelschicht, welche mit den auf der Anlage produzierten Implantaten nachgebildet

Die Produktionsanlage nutzt einen 6-Achs-Roboter für den Transport der Zellkultursysteme zu den verschiedenen Anlagenkomponenten. Da der Großteil des Zellvermehrungsprozesses aus Flüssigkeitstransporten besteht, sind Pipettierroboter für verschiedene Flüssigkeitsmengen in die Anlage integriert. Für die Zellvermehrung in temperierter Umgebung, ähnlich der menschlichen Körpertemperatur, ist ein Brutschrank implementiert. Neben Bevorratungssystemen für Prozessflüssigkeiten und Verbrauchsmaterialien rundet ein automatisiertes Mikroskop zur hundertprozentigen Qualitätskontrolle die Prozesskette der Zellproduktion ab. Die produzierten Knorpelzellaggregate werden schließlich im Bioprinter zu dreidimensionalen Ersatzstrukturen verarbeitet. 

Das schichtweise Verdrucken von Trägermaterial, Gleitschichten sowie Zellaggregaten ermöglicht die Nachbildung des komplexen Gewebeaufbaus im menschlichen Körper. Entgegen der Erwartung, dass Knorpel nur eine Pufferfunktion mechanischer Gelenkbelastungen erfüllt, ist eine Vielfalt an funktionalen Zell- und Materialtypen vertreten, die im Bioprinter gezielt nachgebildet werden können. 

Die Entwicklung und der Aufbau der »JointPromise«-Anlage am Fraunhofer IPT bilden die Grundlage für eine automatisierte Hochdurchsatz-Zellproduktion, um der steigenden Nachfrage nach alternativen Therapieansätzen in der regenerativen Medizin gerecht zu werden.