Interview mit Marc Patzwald

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Schon vor der Coronapandemie wurden Unternehmen von Diskontinuitäten und sogenannten schwarzen Schwänen – sehr seltenen Ereignissen mit äußerst gravierenden Konsequenzen – auf die Probe gestellt. Vor dem Hintergrund der enormen wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie müssen produzierende Unternehmen ihre bisherigen Strategien auf eine erhöhte Robustheit gegenüber diesem zunehmend volatilen Unternehmensumfeld ausrichten. Im Rahmen des Fraunhofer-Innovationsprogramms »Resiliente Wertschöpfungssysteme« (RESYST) untersucht das Fraunhofer IPT deshalb, wie Unternehmen aus Krisen unbeschadet oder sogar gestärkt hervorgehen können.

Im Interview erklärt Marc Patzwald, Gruppenleiter im Strategischen Technologiemanagement des Fraunhofer IPT, wie das Aachener Team durch die Studie Ansätze für Resilienzstrategien aufdeckt und Denkanstöße für Managerinnen und Manager liefert.

Welche Rolle spielt Resilienz für das strategische Technologiemanagement?

Resilienz im Sinne von Widerstandsfähigkeit ist bereits seit Längerem ein bekannter Begriff, wurde aber bislang meist in einem anderen Kontext als dem des strategischen Technologiemanagements genutzt. Den Begriff der Resilienz kennt man zum Beispiel in der Psychologie, wo er die Fähigkeit beschreibt, sich in herausfordernden Situationen widerstands- und anpassungsfähig zu zeigen, aber auch aus anderen Zusammenhängen, wie der Überwindung von Naturkatastrophen durch die Sicherung von Gebäuden oder die Installation von Warnsystemen. Im Kontext organisationaler Resilienz wurde bisher größtenteils der Bereich des Supply Chain Managements betrachtet. Resilienz muss jedoch ganzheitlicher gedacht werden, damit sich eine strategische Erfolgsposition für Unternehmen entwickeln kann. Mit der RESYST-Studie möchten wir herausfinden, wie genau Strategie zur organisationalen Resilienz gegenüber Diskontinuitäten beitragen kann.

Womit habt ihr euch im Rahmen des RESYST-Projekts näher beschäftigt?

Ausgangspunkt der Studie war die Corona-Krise. Die Pandemie ist ein Extrembeispiel für wirtschaftliche Auswirkungen einer exogenen Turbulenz. Die Lockdowns haben zuerst dazu geführt, dass Lieferketten abbrachen. Ebenso schwerwiegend waren die damit verbundenen Einbrüche in der Nachfrage und den Umsatzströmen, was zuletzt zum Kollaps ganzer Geschäftsmodelle geführt hat. Nach einem Jahr Lockdown haben sich grundlegende Verhaltensweisen von Kunden verändert. Dies ist für die Ausrichtung eines Leistungsversprechens von Unternehmen natürlich zentral. Wir haben bereits oberflächlich festgestellt, dass organisationale Resilienz ein extrem vielschichtiges Konzept darstellt. Im Projekt RESYST haben wir daher das Thema der organisationalen Resilienz auf unterschiedlichen Ebenen und Perspektiven konzeptualisiert. Unser Ziel war es, Strategiemodelle zu identifizieren, die Unternehmen eine höhere Robustheit gegenüber externen und internen Turbulenzen versprechen könnten. Aus Sicht des strategischen Technologiemanagements möchten wir also verstehen, wie Resilienz auf Ebene des strategischen Managements konzeptionell begriffen und schließlich praktisch ausgestaltet werden kann.

Welche Erkenntnisse konntet ihr bereits gewinnen?

Durch empirische Fallstudieninterviews sind wir beispielsweise zu der Erkenntnis gelangt, dass Unternehmen im Zuge von Diskontinuitäten im Unternehmensumfeld erfolgreicher sind, wenn sie den Modus ihrer Strategiearbeit anpassen. Ergeben sich aus einer Krise nicht nur operative, sondern strategische Implikationen für ein Unternehmen, braucht es dafür einen Modus der Erneuerung, der unmittelbar nach dem diskontinuierlichen Ereignis eine zügige Neuorientierung ermöglicht. Ein solcher Modus muss grundlegend anders funktionieren, als die klassische strategische Planung. Jährliche Strategiereviews und Budgetierungsrunden sind sehr gut für die Prepare-Phase geeignet. Hier kann aufgrund der ausreichenden Vorbereitungszeit eine Bandbreite an detaillierten Analysen durchgeführt werden, um eine strategische Positionierung analytisch deduktiv zu entwickeln.

Im Modus der Neuausrichtung muss deutlich kleinschrittiger, kreativer, empirischer, und hypothesenbasierter vorgegangen werden, um mit der hohen Unsicherheit und Veränderungsdynamik des Umfelds Schritt zu halten.

Welchen Stellenwert wird das Thema Resilienz über die Pandemie hinaus im strategischen Technologiemanagement einnehmen?

Ausgehend von den durchgängig steigenden Innovations- und Technologiedynamiken ist davon auszugehen, dass Diskontinuitäten in Zukunft häufiger auftreten werden. Um besser mit diesem hohen Grad an Turbulenz umgehen zu können, sind wir überzeugt, dass Resilienz zukünftig integraler Bestandteil des strategischen Technologiemanagements werden muss. Auch wenn die Pandemie hoffentlich bald ein Ende hat, könnte man sagen: Resilienz ist gekommen, um zu bleiben.

Denn diejenigen Unternehmen, die auf Dauer besser mit Krisen unterschiedlichster Art umgehen können, werden durch kontinuierliche Exploration auch in Krisen Wege finden, um neue Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Deswegen sind wir davon überzeugt, dass Resilienz als normatives Ziel auf die Agenda des Top Managements gehört. Um hierfür Inspiration zu bieten, bündeln wir nun unsere theoretischen und empirischen Ansatzpunkte zur Resilienz im strategischen Management in zwei Whitepaper.