Durch Einsatz neuer Technologien die Herausforderungen der Raumfahrtproduktion meistern
Der Markt für kommerzielle Raumfahrtaktivitäten wird in Zukunft unter dem Begriff »New Space« stark an Dynamik gewinnen. Besonders bei Trägersystemen. den sogenannten Launchern, wächst bereits heute der Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern. Um dem steigenden Kostendruck zu begegnen, sind neue Technologien für Fertigung und Prozessoptimierung in der Produktion von Trägersystemen gefragt. Das Fraunhofer IPT unterstützt Unternehmen bei der Identifikation neuer Einsatzfelder.
Der unabhängige Zugang zum Weltraum gehört weiterhin zu den strategischen Anliegen der Europäischen Union. Wie kann die europäische Raumfahrtindustrie dem steigenden Kostendruck im internationalen Wettbewerb standhalten?
Sicher ist, dass der kommerzielle Markt für Raumfahrtaktivitäten in Zukunft noch attraktiver wird: Noch kürzlich stand im Handelsblatt zu lesen, dass sich bis 2030 das weltweite Umsatzvolumen in der Raumfahrt schätzungsweise verdoppeln wird. Auch aus diesem Grund drängen Start-ups mit Investoren aus der Privatwirtschaft auf den New-Space-Markt, viele davon mit Entwicklungs- und Produktionsstandorten in Deutschland. Meilensteine der vergangenen Jahre, wie der Einsatz wiederverwendbarer Raketenstufen durch das Privatunternehmen SpaceX sollten für staatliche Institutionen als Weckruf verstanden werden: Es gilt, die Kooperationen mit neuen Playern auszuweiten und die Auseinandersetzung mit neuen Technologien aufzunehmen. Nur so können diese Institutionen ihren internationalen Erfolg auch zukünftig noch sicherstellen. Für die Produktion der Trägerraketen unterstützen wir die Raumfahrtorganisationen beispielsweise mit dem Fraunhofer IPT systematisch dabei, weitere Potenziale zur Effizienzsteigerung auszuschöpfen. Der gezielte Einsatz technologischer Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, wie 3D-Druck, oder die Prozessoptimierung mithilfe künstlicher Intelligenz bieten sich aus unserer Sicht hier besonders an.
Welches sind die Herausforderungen, die sich in der Raumfahrtproduktion beim Einsatz künstlicher Intelligenz ergeben?
Die Produktion von Trägerraketen unterscheidet sich stark von der Produktion in anderen Branchen: Zum einen werden Großbauteile wie Tanks oder Strukturbauteile in einigen Prozessschritten mechanisch bearbeitet. Dadurch lassen sich klassische Ansätze der Prozessautomatisierung, wie sie in Industrien mit hoher Stückzahlproduktion angewandt werden, in die Produktion von Komponenten für die Raumfahrt nicht eins-zu-eins übertragen. Zum anderen gelten extrem hohe Qualitätsstandards mit geringen Fehlertoleranzen. Dies gilt es bei der Entwicklung von Anwendungsfällen von künstlicher Intelligenz zu berücksichtigen.
Wie kann man diesen Herausforderungen begegnen?
Der Einsatz künstlicher Intelligenz darf natürlich kein Selbstzweck sein. Es bleibt aber festzuhalten, dass sich auch in diesem anspruchsvollen Produktionsumfeld Anwendungsfälle gibt, die durch KI profitieren. Generell kann sich der Einsatz von KI immer dort lohnen, wo bereits eine Fülle an Prozessdaten während der Produktion aufgenommen wird. Dies geschieht beispielsweise in automatisierten Bearbeitungsprozessen für Großkomponenten, etwa bei der Oberflächenbehandlung mit Lasern oder beim Aufbringen von Wärmeisolierschichten auf Bauteiloberflächen. Auch Qualitäts- und Systemtests, zum Beispiel nach der Endmontage, erzeugen eine enorme Menge an unterschiedlichen Daten, die meist manuell ausgewertet werden. Ebenso bietet der zunehmende Einsatz von metallischem 3D-Druck als Fertigungsverfahren für Antriebskomponenten eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz lassen sich bei all diesen Prozessen noch enorme Zeit- und Kosteneinsparungen erzielen.
Wie findet das Fraunhofer IPT zielführende und nutzbringende Anwendungsfälle?
Für die Anwendung von KI in der Produktion haben wir in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der ArianeGroup ein mehrstufiges Verfahren zur Potenzialanalyse und Nutzenbewertung von KI-Anwendungsfällen (Use Cases) entwickelt. Dabei leiten wir nach einer initialen Aufnahme der Herausforderungen in der bestehenden Produktion mögliche Lösungsszenarien mit KI-Methoden ab, die wir zu konkreten Anwendungsbeispielen ausgestalten.
Anschließend bewerten wir anhand von rund 50 Kriterien, wie sich die KI-Anwendungen auf die Produktion auswirken. Dies erfolgt jeweils auf drei klassischen Bewertungsebenen: Nutzen, Aufwand und Erfolgswahrscheinlichkeit.
Im Vergleich zu bestehenden Bewertungsverfahren sehen wir in der KI-Anwendung zwei grundlegende Verbesserungen: Der Nutzen von Use Cases wird momentan noch zumeist als reiner Business Case betrachtet, jedoch sind unserer Meinung nach, auch strategische Potenziale, wie der langfristige Kompetenzaufbau oder die Skalierbarkeit auf weitere Standorte oder Produktionseinheiten, bei einer Entscheidung zu berücksichtigen. Außerdem hängt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Implementierung stark von der Datengrundlage ab. Hinzu kommen noch weitere, Faktoren wie die bereits verfügbare IT-Infrastruktur. All diese Einflussfaktoren zeigen wir unseren Partnern systematisch auf und fassen die gewonnenen Erkenntnisse anschließend in einem sogenannten Use-Case-Portfolio zusammen. So können unsere Projektpartner die vielversprechendsten Anwendungen in ihrem Unternehmen identifizieren und anschließend in die Umsetzung bringen. Oft unterstützen wir zudem bei der Implementierung und Integration der Anwendungen in die bestehende Produktionsumgebung.
Ist dieser Ansatz auf die Luft- und Raumfahrtindustrie beschränkt?
Keineswegs! Dieses Vorgehen lässt sich ohne größeren Aufwand auch auf andere Industrien und Branchen übertragen – wichtig ist natürlich immer die Identifikation und Berücksichtigung von unternehmens- und branchenspezifischen Besonderheiten bei der Bewertung der jeweiligen Use Cases.