Ob Laseroptik, Weltraumteleskop oder Quantenkommunikation – Spiegelsysteme lenken, bündeln oder analysieren Licht. Entscheidend ist das Substrat, auf dem die reflektierende Schicht liegt. Es muss exakt geformt sein; schon Abweichungen im Mikrometerbereich können die Funktion eines optischen Systems stören oder ganz verhindern.
Üblicherweise entstehen solche Substrate aus massiven Glasblöcken. Diese werden über viele Tage, bei großen Formaten sogar über Wochen, geschliffen und poliert – ein teurer, energieintensiver und kaum automatisierbarer Prozess mit über 20 Bearbeitungsschritten. Das Risiko für Glasbruch ist hoch, die Ausschussquote entsprechend groß. Für Substrate mit über einem Meter Durchmesser steigen die Kosten schnell in den siebenstelligen Bereich.
Im Forschungsprojekt »MirrorScale« entwickeln die Partner ein alternatives Verfahren, das ohne Schleifen und Polieren auskommt. Statt mechanisch zu zerspanen, formen sie Flachglas bei bis zu 1400 °C thermisch um. Die Methode ist skalierbar, reproduzierbar und deutlich effizienter als konventionelle Prozesse. Ziel ist ein stabiler Umformprozess, der sich auf Spiegel von mehr als einem Meter Durchmesser übertragen lässt.
Mit dem neuen Verfahren lassen sich bis zu 75 % Energie, Material und Kosten einsparen. Da die Warmumformung elektrisch betrieben werden kann, bietet sie zudem Potenzial für eine CO₂-neutrale Fertigung optischer Komponenten. Auch die Entwicklungszeit für neue Substratgeometrien verkürzt sich deutlich: Angestrebt wird eine Time-to-Market für die hochpräzisen Spiegelsubstrate von acht Wochen – ein Wert, der in der Präzisionsoptik bislang unerreicht ist. Eine erste Pilotanlage entsteht in Nordrhein-Westfalen.
Die größte technische Herausforderung liegt in der Prozessführung: Im Ofenraum verteilt sich die Temperatur nicht gleichmäßig – Glas reagiert jedoch äußerst sensibel auf Temperaturverläufe, Abkühlraten und innere Spannungen. Schon kleine Unterschiede im Erwärmungsprofil führen zu dauerhaften Formabweichungen.
Um diese Effekte zu kontrollieren, kombiniert das Forschungsteam mehrere methodische Ansätze. Das Fraunhofer IPT simuliert die thermischen Vorgänge im Ofenraum sowie das Verformungsverhalten des Glases mithilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM). Die Simulation liefert die Basis für eine erste Prozessauslegung, bildet die realen Bedingungen jedoch nicht vollständig ab.
Darüber hinaus hat das Fraunhofer-Team deshalb ein Verfahren entwickelt und patentieren lassen: Während des Erhitzens und Umformens durchläuft der Glasrohling in der Maschine ein definiertes Bewegungsmuster. So entsteht ein viel homogeneres Temperaturprofil – Formfehler lassen sich minimieren.
Der Projektpartner Vitrum Technologies ergänzt den physikalischen Ansatz durch datenbasierte Verfahren. Machine-Learning-Modelle erkennen Abweichungen zwischen Simulation und Realität und passen den Prozess dynamisch an. Das Ergebnis ist eine wissensbasierte Prozessführung mit reduziertem Materialeinsatz und deutlich weniger Iterationsschleifen.
Das Projekt hat, neben der technologischen, eine strategische Bedeutung für die Region: Es etabliert eine wettbewerbsfähige Fertigungstechnologie für Hochpräzisionsoptik im Rheinischen Revier – eine Schlüsseltechnologie, die bislang ausschließlich im Ausland verfügbar war. Für Hightech-Branchen wie die Laser- oder Raumfahrttechnik entstehen neue Entwicklungsperspektiven, insbesondere im Bereich großformatiger Spiegelsysteme.
Das Forschungsprojekt »MirrorScale« wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Bundesmodellvorhabens »Unternehmen Revier« gefördert.
Förderkennzeichen: 37.22.01/03b_2024