Biologisierung

Von der Natur zur Technik

Unter den Schlagworten »Biologisierung der Produktion« und »Biointelligente Produktion« zielen zahlreiche Aktivitäten der Fraunhofer-Gesellschaft darauf ab, durch die systematische Übertragung biologischer Merkmale und Prozesse effizientere und nachhaltigere Produktionsprozesse zu entwickeln. Ein Baustein dieser Aktivitäten ist das Leitprojekt EVOLOPRO, das sich mit der Steigerung der Flexibilität und Selbstanpassungsfähigkeit von Produktionssystemen beschäftigt.

Das Fraunhofer Forschungsteam befasst sich mit der Frage, welche allgemeinen Prinzipien dazu beitragen, dass Lebewesen sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Dabei konnten sie sechs universale Designmerkmale identifizieren. Diese finden sich auf allen Ebenen biologischer Organisation – von der einzelnen Zelle bis zu ganzen Ökosystemen – und für alle Formen von Anpassungen, sei es evolutionär über Generationen hinweg, im Laufe der körperlichen Entwicklung eines Lebewesens oder bei der Verhaltensanpassung durch Lernen. Diese sechs Designmerkmale werden als »Elemente der Flexibilität« bezeichnet.

Die Elemente der Flexibilität im Überblick

Modularität

Ein Modul ist eine leicht auszutauschende, häufig einsetzbare Einheit in einem Gesamtsystem, die eine abgrenzbare Teilaufgabe im Gesamtsystem übernimmt. Modular aufgebaute Systeme können sich leichter an neue Anforderungen anpassen, da nur einzelne Einheiten ausgetauscht werden müssen.

Hierarchie

Hierarchische Systeme bestehen aus ineinander verschachtelte Teilsystemen mit abnehmender Komplexität. Oftmals wird der Begriff Hierarchie mit Starrheit und Unflexibilität verknüpft, diese Sichtweise greift jedoch zu kurz: Hierarchie kann Flexibilität fördern, da sie stabile Übergangsstadien erlaubt und notwendige Änderungen an die richtige Stelle im System geleitet werden.

Schwache regulatorische Kopplung

Schwache regulatorische Kopplung bezieht sich auf eine Reihe von Prinzipien, wie biologische Module auf zellulärer und molekularer Ebene miteinander kommunizieren. Auf technische Systeme übertragen, kann dies als Prinzip für die Gestaltung von Schnittstellen verstanden werden, das eine möglichst einfache Rekombination von Modulen zur Erreichung neuer Systemfunktionen ermöglicht.

Explorative Prozesse

Exploration umfasst das ergebnisoffene Erkunden und Sammeln von Lösungen. Exploration ist in der Produktion ein aufwendiger, kostenintensiver Prozess. Zur richtigen Zeit und an der richtigen Stelle eingesetzt, trägt sie jedoch, mit vertretbarem Aufwand, zu einer massiven Flexibilitätssteigerung des Gesamtsystems bei.

Degeneriertheit

Zwei Module in einem System bezeichnet man als degeneriert, wenn sie sich unter bestimmten Bedingungen gleich verhalten, unter anderen jedoch unterschiedlich. Unter gleichbleibenden Anforderungen, tragen degenerierte Module nicht anders als redundante Module zur Ausfallsicherheit des Systems bei. Unter veränderten Anforderungen bieten degenerierte Module jedoch unterschiedlich gute Lösungen.

Schwache Verknüpfung

Schwache Verknüpfungen zwischen Komponenten eines Systems sind, einzeln betrachtet, nicht bedeutend. Sie sind das Gegenteil von starken Verbindungen, deren Durchtrennung sofort zu einem Ausfall des Systems führen würde. Die Gesamtheit der schwachen Verbindungen innerhalb eines Systems und ie Art ihrer Verteilung können hingegen einen starken Einfluss darauf haben, wie schnell sich ein System umkonfigurieren kann, um auf eine neue Anforderung zu reagieren.
 

Einzeln betrachtet findet man die meisten Designmerkmale heute bereits in technischen Systemen. Jedoch unterscheiden sich technische und biologische Systeme deutlich in der Vielfalt, in der die sechs Elemente der Flexibilität auftreten sowie in der Komplexität ihres Zusammenspiels. Im Forschungsprojekt EVOLOPRO werden Produktionssysteme im Hinblick auf die Elemente der Flexibilität und deren Zusammenspiel analysiert. Im Rahmen der drei Pilotketten Aviation, Optics und Automotive identifizieren die Forschungsteams die Potenziale für eine Übertragung der Elemente und setzen sie gezielt mit Mitteln der Digitalisierung um. Damit sollen Flexibilität und Selbstanpassungsfähigkeit dieser Produktionssysteme gesteigert werden.